Keine Pfadfinder ohne Jurten

Blick auf die ISGF Europakonferenz von Matthias Holthaus vom Weser Kurier

Teilnehmende aus ganz Europa: ISGF Europakonferenz in Bremen
Teilnehmende aus ganz Europa: ISGF Europakonferenz in Bremen

Bremen. Alle drei Jahre kommen ältere Pfadfinderinnen und Pfadfinder ab 40 Jahren aus verschiedenen Ländern bei der Europakonferenz der „International Scout and Guide Fellowship“ (ISGF) zusammen – diesmal in Bremen. Fünf Tage tauschen sie sich aus und erkunden die Stadt. „Wir wollen gute Gastgeber sein“, sagt Rainer Nalazek, der die Veranstaltung maßgeblich vorbereitet hat. „Wir“, das ist der „Verband Deutscher Altpfadfindergilden“ (VDAPG), und in dessen „Gilde Roland“ ist Rainer Nalazek, wobei er die Konferenz unter dem Motto „Vielfalt“ nicht alleine organisiert hat: „In Bremen sind wir eine Gruppe von 22 Personen zwischen 45 bis 90 Jahren, das ist ein Freundeskreis seit vielen Jahren.“ Gleich vier Pfadfinder-Verbände sind in der Gilde Roland vertreten. „Aber die meisten gehören dem BdP an.“ Besagter BdP, also der „Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder“, ist am Eröffnungsabend unübersehbar präsent: Nicht nur, dass sie mit ihren dunkelblauen Hemden und den blau-gelben Halstüchern aus der Masse herausstechen, sie sind darüber hinaus auch noch wesentlich jünger als ein durchschnittlicher Teilnehmer der Konferenz. Der Stamm „Lesmona“ aus Horn ist für den musikalischen Teil der Eröffnungsveranstaltung zuständig und singt seine Pfadfinderlieder ausnahmsweise mal im Bremer Kongresszentrum und nicht am heimeligen Lagerfeuer. Das Feuer gibt es auch nicht: Normalerweise baut der gemeine Pfadfinder erst ein großes Zelt auf und entfacht dann darin ein Feuer – das „Jurte“ genannte Zelt steht tatsächlich vor dem Hotel Maritim, doch das Feuer musste leider ausbleiben, aus Sicherheitsgründen. Das hält den Stamm Lesmona jedoch nicht davon ab, von Lagerfeuer zu singen. Der 19-jährige Stammesführer Moritz Becker (Fahrtenname „Günni“) erzählt, sie hätten dafür fünf Mal geprobt. Insgesamt 66 Stammesmitglieder hat der Stamm Lesmona; das ist stattlich und keinesfalls selbstverständlich: Vor ein paar Jahren sei der Stamm auf etwas über zwanzig Mitglieder geschrumpft, „doch nun kommen fast wöchentlich neue Mitglieder hinzu“, erzählt er. Das sei auch ein Verdienst von guten und mitreißenden Leiterinnen und Leitern, weiß Benjamin de Beizac, genannt „Tipi“, zu berichten und deutet auf Günni, der aber bereits wieder mit seinem Stamm beschäftigt ist. „Ich selbst gehe nicht mehr regelmäßig auf Fahrt, versuche aber, ein bis zwei Mal im Jahr dabei zu sein“, sagt der 42 Jahre alte Tipi, der ebenfalls im Leitungsteam des Stammes Lesmona ist. Aber warum überhaupt ist man in dem Alter noch Pfadfinder? Benjamin de Beizac muss nicht lange überlegen: „Um den Jugendlichen das zurückzugeben, was die Pfadfinder mir gegeben haben. Und ihnen dabei zu helfen, tolle Erfahrungen zu sammeln.“ Eine Einstellung, die sicherlich von den Konferenzteilnehmern geteilt wird. „Wie schön, dass dieser Saal vor Engagement und Jugend nur so strotzt“, sagt Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff in seiner Begrüßungsrede. Und zieht auch gleich eine Parallele zwischen der Pfadfinderei an sich und der märchenhaften Stadtgeschichte: „Ich bin mir inzwischen sicher, dass die Stadtmusikanten im Grunde ihres Herzens vier Pfadfinder waren.“ Denn sie seien offen für alle, ohne auf Rasse, Herkunft oder Glauben zu schauen, sie hätten ebenfalls in diversen Lagern übernachtet und auch „Learning by doing“ sei ihnen nicht fremd gewesen. Und: „Sie erziehen Jugendliche weltweit zu einem Miteinander, Freundschaft zu sozialer Verantwortung und für den Mut, für die eigenen Ziele zu kämpfen“, sagt lmhoff. Eine schöne Chance der Begegnung nennt anschließend Altbürgermeister Henning Scherf die Europakonferenz: Er erinnert sich an Besuche in Gdansk in den Siebzigerjahren, „dort wollten wir Freunde finden und wir wollten über die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs hinwegkommen.“ Und gleich die erste Reise habe ihn mit den dortigen Pfadfindern verbunden: „Wir haben in Gdansk bei den Pfadfindern übernachtet.“ Und er erinnert sich weiter: „Alle hatten Angst, auch vor dem Militär. Doch mit den Pfadfindern war alles friedlich.“ Sie hätten vorgemacht, wie es geht, ohne Sprüche zu machen: „Sie sind ein Schrittmacher eines friedlichen und offenen Europas.“ Auch Helmut Reitberger, Vorsitzender des VDAPG, sieht das so: „Angesichts zunehmender politischer Radikalisierungen in Europa und weltweit, die nationale und gruppenspezifische Egoismen propagieren, ist es wichtiger denn je, Vielfalt als Chance zu betrachten.“ Für ihn erweitern die vielfältigen Lebensentwürfe der Pfadfinderbewegung den geistigen und emotionalen Horizont: „Sie tragen dazu bei, im sozialen Miteinander gesellschaftliche Verhältnisse so zu gestalten, dass Ausgrenzungen und Diskriminierungen nicht stattfinden können.“

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